Ada Gobetti – eine Frau im Widerstand

Es gibt kaum ein Buch über den antifaschistischen Widerstand im Piemont, dem Ada Gobettis Diario partigiano nicht als Quelle dient.

Ada Gobetti und Benedetto Croce - 1939. Mit freundlicher Genehmigung: © Centro Studi Piero Gobetti

Ada Gobetti und Benedetto Croce – 1939. Mit freundlicher Genehmigung: © Centro Studi Piero Gobetti

Der Philosoph Benedetto Croce regte sie nach dem Krieg dazu an, ihre in englischer Kurzschrift verfassten Tagebucheinträge über ihre Erlebnisse im Widerstand zu veröffentlichen. Nach Lesen des Manuskriptes urteilte er 1951: „Welch ein Glück, wenn jemand, der daran [der Resistenza] teilgenommen hat, solche Zeilen schreiben kann, wie Sie sie geschrieben haben! […] Sie können also mit dem vollbrachten Werk zufrieden sein“.

Für die Erstauflage des Diario partigiano, 1956 bei Einaudi erschienen, schrieb Italo Calvino das Vorwort. Es beginnt mit den Worten:
„Dieses Buch mit den Memoiren der Resistenza stellt eine Ausnahme dar, nicht so sehr wegen der Wichtigkeit der geschilderten Tatsachen, als wegen der Person, die das Buch geschrieben hat und der Art und Weise, wie der Partisanenkrieg gesehen und gelebt wird. […] Es ist das Buch einer Frau, deren Leben bereits vom Kampf gegen den Faschismus gezeichnet war. Ada Prospero, die Witwe von Piero Gobetti, dem jungen Märtyrer des frühen italienischen Antifaschismus, die zwischen den wichtigsten Verschwörern des zwanzigjährigen italienischen Faschismus gelebt hat, und die von ihrem Freiheitsdrang, dem Bedürfnis zu handeln und einer außergewöhnlichen Courage angetrieben wurde.“

„Ich habe keine politischen Ideen, ich habe nur moralische Gewissheiten“


Wer war diese Frau, die wie Ferruccio Parri und Duccio Galimberti 1942 zu den Gründungsmitgliedern des Partito d’Azione gehörte, die mit dem Philosophen Benedetto Croce eine lebenslange Freundschaft pflegte, die unter anderem für ihre legendäre Winterüberquerung des Passo dell’Orso am 30. Dezember 1944, die die Kontaktaufnahme mit den Alliierten in Frankreich ermöglichte, mit einer der höchsten Tapferkeitsmedaillen Italiens ausgezeichnet und nach dem Krieg zur Vizebürgermeisterin von Turin gewählt wurde? Und die von sich dennoch behauptete: „Io non ho idee politiche, ho solo certezze morali.“

Mit 16 Jahren lernte Ada Prospero 1918 im Turiner Liceo Gioberti den ein Jahr älteren Piero Gobetti kennen, dessen Schriften später die theoretische Grundlage für die Bewegung Giustizia e Libertà und des Partito d’Azione bildeten. Ada arbeitete, parallel zu ihrem Philosophie- und Literaturstudium, mit an seinen Zeitungen Energie Nove und La Rivoluzione Liberale. Das alles bestimmende Thema für die beiden war die Forderung nach einer radikalen Erneuerung in Politik und Kultur. Ihr Privatleben – sie heirateten 1923 – scheint immer vom Politischen bestimmt worden zu sein. La Rivoluzione Liberale war zu einer der exponiertesten oppositionellen Publikationen Italiens mit klar antifaschistischer, radikaldemokratischer Ausrichtung geworden, und die beiden standen nach der Machtergreifung Mussolinis mit anderen Widerstandsgruppen in ganz Italien in Verbindung.

Erstmals verhaftet wurde Piero Gobetti im Februar 1923. Einige Ausgaben der Zeitung wurden beschlagnahmt, andere zensiert. Weitere kurze Inhaftierungen folgten. Am 5. September 1925 wurde er von vier Angehörigen der faschistischen Sturmtruppen, den berüchtigten Squadristi, vor ihrem Haus in der Turiner Via Fabro 6 niedergeprügelt und erlitt schwere Verletzungen. Am 8. November 1925, unmittelbar nach dem Verbot aller oppositionellen Parteien und Druckerzeugnisse, musste La Rivoluzione Liberale ihr Erscheinen endgültig einstellen. Piero wartete noch die Geburt ihres Sohnes Paolo am 28. Dezember 1925 ab und ging kurz darauf, wie so viele andere Antifaschisten vor und nach ihm, ins Pariser Exil. Dort starb er wenig später nach kurzer Krankheit am 16. Februar 1926 an den Spätfolgen des Attentats.


Mit knapp 24 Jahren war Ada Gobetti Witwe und hatte einen erst wenige Wochen alten Sohn. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie durch Übersetzungen klassischer und zeitgenössischer englischsprachiger Autoren und begann, an einer Turiner Schule zu unterrichten. Sie veröffentlichte pädagogische Texte und schrieb das Kinderbuch La storia del gallo Sebastiano. Adas Haus in der Turiner Via Fabro blieb klandestiner Treffpunkt der antifaschistischen Intellektuellen um Carlo Rosselli, Norberto Bobbio und Vittorio Foa. Und als sich 1942 der Partito d’Azione konstituierte, gehörte Ada zu den Gründungsmitgliedern.

Diario partigiano

Ada hat ihre Aufzeichnungen am 10. September 1943 begonnen, zu dem Zeitpunkt, als die Deutschen Turin besetzten. Ihr knapp 18-jähriger Sohn Paolo unternahm von Meana di Susa aus, wo Ada ein Wochendhaus besass, noch am selben Tag mit gleichaltrigen Freunden seine ersten Streifzüge in die Berge: Sie durchsuchten die vom italienischen Militär aufgegebenen Kasernen und Bunker nach Waffen und Munition. Am Abend legte er Ada mit triumphalem Lächeln – „mit derselben Geste wie vor einigen Jahren, als er mir Pilze mitbrachte“ – die erste erbeutete Handgranate auf den Küchentisch. Und schloss sich unmittelbar danach den sich im Susatal bildenden Partisaneneinheiten an.

Ada hatte als Pendlerin zwischen Turin und Meana di Susa viel Bewegungsfreiheit, konnte permanent Unterlagen und Informationen zwischen dem Hauptquartier des CLN in Turin und den Tälern hin und her befördern. Daneben galt es, geflüchtete alliierte Kriegsgefangene in Sicherheit zu bringen, Ausweise zu fälschen und Flugblätter zur Aufklärung der Bevölkerung zu verfassen, sobald eine neue Einberufungsaktion zu Mussolinis RSI-Armee anstand. Sie koordinierte die Partisaneneinheiten der Aktionspartei – die Brigate Giustizia e Libertà (GL) – im Susatal und übernahm dort die auch bei Einheiten der GL obligatorische Stellung des politischen Kommissars einer Einheit. Zusammen mit Silvia Pons, Bianca Guidetti Serra und anderen baute sie die Frauenbewegung des Partito d’Azione, das Movimento Femminile Giustizia e Libertà auf. Frauenarbeit blieb bis zu ihrem Tod im Jahr 1968 eines ihrer zentralen Anliegen.

Ada Gobetti hat in den 20 Monaten ihrer Partisanentätigkeit keinen einzigen Schuss abgefeuert. Liefert aber dennoch mit ihrem Diario partigiano ein sehr plastisches Bild des Partisanenkampfes: Von Hunger und Kälte, von den Versuchen, neue Einheiten aufzustellen, Sprengstoff zu organisieren und von geglückten und misslungenen Anschlägen. Das Buch ist durchzogen von „sanfter Pädagogik“ (Italo Calvino) und ihrem unermüdlichen Pochen darauf, dass die Zukunft keine Fortsetzung der faschistischen Vergangenheit werden darf.

Schade, dass ihr Buch nie ins Deutsche übersetzt wurde.

Sabine Bade & Wolfram Mikuteit

 

Seit 1961 ist im früheren Wohnhaus von Ada und Piero Gobetti in Turin das Centro Studi Piero Gobetti untergebracht. Es umfasst neben der Biblioteca Noberto Bobbio auch ein umfassendes Archiv und viele online verfügbare Quellen. An ihrem ehemaligen Haus in Meana di Susa in der Nähe von Turin erinnert eine Tafel an Ada Gobetti.

 

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