von Christoph Jetter, informationen – Wissenschaftliche Zeitschrift des Studienkreises Deutscher Widerstand 1933-1945
Schönheit und Attraktivität der Wanderwege in den piemontschen Alpen zu rühmen, ist für alle, die auch nur einmal dorthin gereist, gar dort gewandert sind, keine Neuigkeit. Der hier vorgestellte neue Wanderführer von Sabine Bade und Wolfram Mikuteit wird der Vielfalt und Einzigartigkeit der Gebirgsregion an den Grenzen zwischen Italien, Frankreich und der Schweiz jedoch in doppelter Hinsicht gerecht.
Zunächst bietet er alles, was zu einem handlichen, auf langjähriger Erfahrung aufgebauten Begleiter für Wanderungen auf den Wegen in den nordwestitalienischen Alpen gehört. „Es ist ein Wanderbuch mit 23 GPS-gestützten Touren vom Stadtspaziergang bis zur Hochtour auf über 3000 Meter, das alle nötigen und viele hilfreiche Informationen enthält“, wird in der Einleitung zutreffend angekündigt – also findet man: gute Karten der beschriebenen Touren im nördlichen und nordwestlichen Piemont, genaue Wegbeschreibungen, praktische Hinweise zu Verkehrsmitteln, Übernachtungs-möglichkeiten und Preisen, nicht zuletzt bestechend schöne Aufnahmen aus diesen grandiosen Gebirgslandschaften.
Die Besonderheit dieses „Wanderlesebuchs“ (so der zutreffende Untertitel) besteht allerdings darin, dass Autorin und Autor nicht nur eine kenntnisreiche und gelungene Einführung in die dramatische Geschichte der Resistenza von 1943 bis 1945 geben, sondern diese zum Leitfaden der einzelnen Kapitel und zum Thema des Gesamtinhaltes machen – vom Aufstieg des italienischen Faschismus bis zu den 20 Monaten des bewaffneten Widerstands gegen die deutsche Besatzung.
Ein Geschichts- und Geschichtenbuch also, dessen Einleitungsabschnitte bereits in einen ebenso beklemmenden wie faszinierenden „Spaziergang durch Turin auf den Spuren der Resistenza“ münden (Tour 1, S. 43ff.).
Wer auf den Wegen der Stafetten – jener weiblichen Kuriere und Kundschafter des Widerstandes, ohne deren Beitrag zu würdigen keine ernst zu nehmende Geschichte der Resistenza geschrieben werden kann – zu den Alpenpässen westlich von Turin aufsteigen will, findet im Anschluss an die Beschreibung der Tour zu den Pässen Croce di Ferro und Coupe (Tour 8, S. 119ff.) auf zweieinhalb Seiten eine exemplarische Darstellung der damals in Tälern und Bergen versteckten Kranken- und Verwundetenstationen der Partisanen („Hospitäler der Resistenza“, S. 124ff).
Wer die Symbiose des linksintellektuellen Turin um die „Einaudis“ mit dem aktiven Widerstand verstehen will, erfährt hierzu nicht nur im Abschnitt über „Intellektuelle im Widerstand“ (S. 22ff.), sondern auch im Zusammenhang mit einzelnen Touren bewegende Einzelheiten und Geschichten. So z.B. auch die faszinierende Biografie von Ada Gobetti (Tour 14, S. 161ff.) mit einem Auszug aus ihrem legendären Partisanen-Tagebuch (S. 165ff).
Für Leser und Leserinnen ergibt sich so ein zusammenhängendes, zugleich an die Geschichte der denkwürdigen Bewegung „Giustizia e Libertà“ und der Aktionspartei heranführendes Bild. Solche und weitere über 20 „Themensplitter“ seien beispielhaft für die in das Wanderbuch integrierten Sach- und Personendarstellungen erwähnt.
Es ist diese von Kompetenz und akribischer Recherche der Autorin und des Autors zeugende Mischung aus lokal-regionaler Ereignis- und Tourenbeschreibung und historischpolitischer, auch biografischer Information, die das außergewöhnliche Wander- und Geschichtsbuch auszeichnet. Es setzt – die abgegriffene Redewendung sei erlaubt – insofern Maßstäbe, als es die Geschichte(n) des Widerstands, den die Frauen und Männer der Resistenza unter schweren Opfern vom ersten Tag an dem Terror der nazideutschen Okkupation entgegen gesetzt haben, als untrennbaren geschichtlichen und kulturellen Bestandteil der piemontesischen Landschaft und Lebenswelt würdigt und zugänglich macht.
Die beeindruckenden Natur- und Stadtlandschaften bleiben nicht nur bunte und noch so interessante Urlaubs- und Reisekulisse, sondern werden als Schauplatz der im kollektiven Bewusstsein der Bevölkerung verankerten Widerstandsgeschichte lebendig.
„Was hatten die Nazis auf dieser Wiese zu suchen?“ hatten sich Autorin und Autor gefragt, als sie in den 1990er Jahren bei der Überquerung einer Hochebene vor einem Gedenkkreuz für zwei der „violenza nazista“ zum Opfer gefallene Brüder stehen geblieben waren. Ihr Wanderbuch ist eine in 20 Jahren entstandene „Antwort“ auf diese Frage.
Dass Sabine Bade und Wolfam Mikuteit an Stelle eines Vorworts den 1955 an die junge Generation gerichteten Appell des Hochschullehrers und Resistenzamitglieds Piero Calamandrei in Erinnerung rufen, ist bewegend und aktuell zugleich:
„Wenn Ihr dorthin pilgern wollt, wo unsere Verfassung geschaffen wurde, geht in die Berge, wo die Partisanen fielen, in die Gefängnisse, wo sie eingekerkert waren, in die Lager, in denen sie hingerichtet wurden.“
Sabine Bade, Wolfram Mikuteit: Partisanenpfade im Piemont. Wege und Orte des Widerstands zwischen Gran Paradiso und Monviso. Ein Wanderlesebuch. Konstanz: Verlag Querwege, 2012.
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