Die Partisanenrepublik von Ossola

Über 20 von deutschen Besatzern und Mussolinis faschistischen Truppen vollständig befreite Gebiete, Partisanenrepubliken, gab es im Sommer und Herbst 1944 in Italien. Die wegen ihrer Ausdehnung und Bevölkerungsdichte bedeutsamste von ihnen war die „Repubblica partigiana della Val d’Ossola“. Sie wurde vor genau 70 Jahren, am 10. September 1944, im piemontesischen Domodossola ausgerufen. Es folgten die 44 Tage der freien Partisanenrepublik Ossola, in deren Verlauf ein funktionierendes Modell einer antifaschistischen, pluralistischen Demokratie aufgebaut wurde.Grenzstein Partisanenrepublik Ossola - Foto: © Wolfram Mikuteit

Der hier beginnende mehrteilige Artikel zur Partisanenrepublik von Ossola soll schlaglichtartig beleuchten, unter welchen politischen und militärischen Rahmenbedingungen die Menschen aus dem Ossolatal das Experiment wagten, in ihrer Heimat nach über 20 Jahren Faschismus demokratische Verhältnisse herzustellen. Und aufzeigen, was in keinem Reiseführer steht: Wo noch heute im Tal an den Widerstand erinnert und das Gedenken an die Tage der freien Republik wachgehalten wird – die am 23. Oktober 1944 von der deutschen Wehrmacht mit Unterstützung italienischer Faschisten in der Operation „Avanti“ zurückerobert wurde.

 

Die Anfänge des Widerstands im Val d‘Ossola
Nach der Absetzung Benito Mussolinis und der Waffenstillstandserklärung Italiens am 8. September 1943, die der Landung der Alliierten auf Sizilien und deren weiterem Vormarsch aufs Festland folgte, wurde das noch nicht von alliierten Truppen eroberte Italien handstreichartig von deutschen Truppen besetzt. Die Front teilte Italien praktisch in zwei Staaten: Im Norden die Marionettenregierung von Hitlers Gnaden, Mussolinis Republik von Salò (Repubblica Sociale Italiana, RSI), im Süden die Regierung von Mussolinis Nachfolger Badoglio, das Regno del Sud. Die hatte am 13. Oktober 1943 Deutschland den Krieg erklärt und wurde damit aus Sicht der Alliierten zur „co-belligerent nation“, zum mitkriegsführenden Land.

Wie in Rom, wo am Tag nach der deutschen Besetzung von Monarchisten, Christdemokraten, Liberalen, Sozialisten und Kommunisten das „Komitee der nationalen Befreiung“ (Comitato di Liberazione Nazionale, CLN) gegründet wurde, fanden sich fast überall im Land Menschen in klandestinen Zirkeln des antifaschistischen Widerstands gegen das deutsche Besatzungs- und faschistische RSI-Regime zusammen. So auch im nordpiemontesischen Val d’Ossola. Einer ihrer Protagonisten war hier der Sozialist Professor Ettore Tibaldi, Chefarzt im Krankenhaus San Biagio von Domodossola. Mitglieder des Klerus arbeiteten in diesen Gruppen ebenso wie Anhänger des gesamten antifaschistischen Spektrums. Daneben bildeten sich in dieser Gebirgsregion, die sich wie ein Dreieck in die Schweiz erstreckt – im Westen durch den Kanton Wallis und im Osten durch den Kanton Tessin und den Lago Maggiore begrenzt wird -, erste Partisanengruppen, die Überfälle zur Erbeutung von Waffen und Munition und Sabotageaktionen zur Unterbrechung des Straßen- und Eisenbahnverkehrs verübten. Getreu der Vorgaben des britischen Oberbefehlshabers in Italien, General Harold Alexander, an die Resistenza: „Sabotate, attaccate, non date tregua al nemico“.
Nach einem gescheiteren Aufstandsversuch in Villadossola im November 1943 wurden der Gewerkschaftsführer Redimisto Fabbri und andere Aktivisten erschossen, Ettore Tibaldi und andere Protagonisten des zivilen Widerstands mussten in die nahe Schweiz flüchten.

Kontakte zu den Alliierten
Im Schweizer Exil unterhielten die Widerstandskräfte aus dem Ossolatal gute Kontakte zum amerikanischen Geheimdienst (Office of Strategie Services, O.S.S.) unter Allan Dulles und dem britischem Geheimdienst (Special Operations Executive, S.O.E.) unter John Mac Caffery. Der Nachrichtenaustausch zwischen den im Tal gebliebenen, nur locker miteinander in Kontakt stehenden Widerstandsgruppen einerseits und den in Lugano ansässigen Mitgliedern der Resistenza, auch der dortigen Vertretung des CLN, und den Alliierten wurde durch einen fast täglich die Grenze überquerenden Kurier sichergestellt.
Im Mai 1944 beauftragten die Briten den Anwalt Giovanni Battista Stucchi (der später zum Repräsentanten des CLN im befreiten Ossola ernannt wude) mit der Ausarbeitung eines Aktionsplanes zur Befreiung des Ossolatals („Plan Morelli“). Eine Zeitlang beschäftigten sich die Alliierten mit dem Vorhaben, in Italien eine zweite Front aufzubauen, das Ossolatal zur Basis für Angriffe gegen die Poebene und zur Befreiung Norditaliens auszubauen.
Infolge der großen Durchkämmungssaktion (Rastrellamento) im Juni 1944 wurden derartige Pläne aber zunächst zurückgestellt.

Die Rastrellamenti vom Juni 1944
Am 4. Juni 1944, nach der Befreiung Roms durch die Alliierten, hatte das CLN einen Appell an die Partisanen gerichtet und zu einer Großoffensive angesichts der erhofften schnellen Befreiung auch Norditaliens aufgerufen.
Dem folgten die Partisanengruppen im Ossolatal: Die „Divisione Valdossola“ unter dem Republikaner Dionigi Superti, die „Divisione Valtoce“ unter dem konservativen Monarchisten Alfredo Di Dio, die „2. Division Garibaldi“, die „Divisione Piave“ und die „Brigata Beltrami“ (um hier nur die größten zu nennen) – darunter viele junge Wehrpflichtige, die dem Einberufungsbefehl der faschistischen Republik von Salò nicht folgen wollten – verübten u.a. Anschläge auf Elekritizitätszentralen, was die Stromlieferungen an die für die Deutschen in Novara und Mailand produzierenden Industrien versiegen ließ, und brachten die für den deutschen Nachschub wichtige Bahnlinie zwischen Domodossola und Arona unter ihre Kontrolle.
l'eccidio di Fondotoce - Foto: Casa della Resistenza, FondotoceMit den vom 10. bis zum 23. Juni 1944 verlaufenden Unternehmen „Köln“ und „Freiburg“ kreisten circa 17.000 Männer (Wehrmacht, SS und faschistische Miliz) mit massiver Luftunterstützung das Ossolatal ein und brachten die Region wieder unter ihre Kontrolle.
Insgesamt wurden bei dieser zweiwöchigen Aktion im Ossolatal ca. 300 Partisanen während der Kämpfe getötet oder hingerichtet, davon allein am 20. Juni 1944 in Verbania-Fondotoce 42 Menschen: Auf ihrem Weg zur Hinrichtungsstätte mußten sie ein Schild vor sich hertragen mit der Aufschrift: „Sono questi i liberatori d’Italia oppure sono i banditi?
Von den ungefähr 400 gefangen genommenen Zivilisten wurden fast alle in deutsche Lager deportiert.Der Widerstand im Ossolatal schien zunächst gebrochen.

Sabine Bade & Wolfram Mikuteit

 

 

 

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