Dass Saluzzo mit seiner sehr gut erhaltenen mittelalterlichen Altstadt, den vielen Palazzi, engen Gassen und Torbögen und wegen der herrlichen Lage am Alpenrand eine Reise wert ist, kann man in den meisten Piemont-Reiseführern nachlesen.
Hinweise auf die jüngere Geschichte – auch wie die Stadt ihrer gedenkt – fehlen dort jedoch. Die Geschehnisse der 20 Monate andauernden deutschen Besatzung Norditaliens bleiben ein ‚weißer Fleck‘. Dem versuchen wir ein wenig entgegen zu setzen; hier mit dem Hinweis auf einen Stolperstein-Spaziergang entlang der ‚Tracce del ricordo‘, die wissenswerte Einblicke in die Historie des Ortes vermitteln. Eine etwas andere Art des ‚Sightseeings‘.
Tracce del ricordo
Im Jahr 2009 wurden in Saluzzo die ‚Tracce del Ricordo‘ eingerichtet: Vor den früheren Wohnhäusern von 21 in deutschen Konzentrationslagern ermordeten Juden wurden Gedenkplatten in den Boden eingelassen. Sie sind nur unwesentlich größer als die von Gunter Demnig verlegten Stolpersteine und dienen demselben Zweck: die Erinnerung wachzuhalten an das Schicksal der Menschen, die im Nationalsozialismus vertrieben, deportiert und ermordet wurden. Unter den Namen der Opfer, ihrem Alter und dem Konzentrationslager steht jeweils, warum sie dort ermordet wurden: „perché ebreo“ – weil sie Juden waren.
Die jüdische Gemeinde von Saluzzo
Seit Ende des 15. Jahrhunderts leben Menschen jüdischen Glaubens in Saluzzo. Ende des 18. Jahrhunderts siedelten sie sich nach und nach entlang der heutigen Via Deportati Ebrei (früher: Via degli Israeiliti) an, wo das jüdische Ghetto entstand. Im Jahr 1832 wurde dort die Synagoge errichtet. Nachdem Juden im Zuge des italienischen Risorgimento im Jahr 1848 ihre Emanzipation erlangt hatten, wuchs die jüdische Gemeinde von Saluzzo zu einer der größten in der Provinz Cuneo. Als angesehene Bürger der Stadt nahmen ihre Mitglieder am gesellschaftlichen Leben teil, beteiligten sich am Ersten Weltkrieg, und einige von ihnen waren Mitglieder der faschistischen Partei Mussolinis.
Nachdem ab Mitte der 1930er-Jahre eine breitangelegte antisemitische Pressekampagne sukzessive den Boden für eine Ausgrenzung der Juden gelegt hatte, ließ Mussolini im Juli 1938 das Rassenmanifest (Il fascismo e i problemi della razza) veröffentlichen, das die theoretische Grundlage für die späteren Gesetze darstellen sollte. Darin wurde u.a. behauptet, dass es eine „reine italienische Rasse“ arischen Ursprungs gäbe, der die Juden nicht angehörten. Im August 1938 fand die Zählung der Juden (censimento nazionale degli ebrei) statt, die später den Deutschen für Verhaftungen und anschließende Deportationen in die Vernichtungslager diente.
1938 lebten 45 Juden in Saluzzo. Mit den ab September 1938 verabschiedeten Rassegesetzen wurden sie aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen: ihre Kinder mussten die Schulen und Universitäten verlassen, sie verloren ihre Anstellung in öffentlichen Institutionen und die Lizenz zum Betreiben ihrer Firmen. Durch die damit ausgesprochenen Berufsverbote und die Enteignung jüdischen Vermögens wurde ihnen ihre ökonomische Grundlage entzogen. Ihre physische Verfolgung setzte mit der deutschen Besatzung ein, die unmittelbar auf die italienische Waffenstillstandserklärung vom 8. September 1943 erfolgte, als sich Mussolini und seine Komplizen dafür entschieden, die italienischen Juden der deutschen Deportations-Maschinerie auszuliefern und der Gestapo bei der Verfolgung der Juden freie Hand zu lassen. Die in Saluzzo und der gesamten Provinz Cuneo lebenden Juden wurden verhaftet und die meisten von ihnen im Sammellager von Borgo San Dalmazzo interniert. Einige andere, wie die 74-jährige Anna Segre Levi, zunächst nach Turin gebracht, dort verhört und gefoltert, später deportiert.
Am 15. Februar 1944 wurden die in Borgo San Dalmazzo Inhaftierten zunächst in Viehwaggons in das Lager in Fossoli gebracht, von wo aus der Weitertransport im August 1944 über Bozen in die Vernichtungslager von Auschwitz und Buchenwald erfolgte. 29 Menschen aus Saluzzo wurden dort ermordet. Der junge Isacco Levi, der sich durch Flucht in die Berge rettete, wo er sich der Partisanenbewegung anschloss, verlor auf diese Weise seine gesamte 13-köpfige Familie.
Informationen:
An der Piazza Risorgimento (Ecke Via Spielberg/ Via Deportati Ebrei) gibt es einen Plan zu den ‚Tracce del ricordo‘. Dort sind die Verlegeorte der einzelnen Stolpersteine eingezeichnet.
Wer den Spaziergang noch erweitern möchte, sollte die Synagoge und den jüdischen Friedhof von Saluzzo besuchen.
Der Friedhof befindet sich seit 1795 in der Via Lagnasco. Hier wurden für alle in den Vernichtungslagern ermordeten Juden spezielle Gedenktafeln aufgestellt: „Per non dimenticare“, um nicht zu vergessen. Die seit 1964 nicht mehr genutzte Synagoge steht in der Via Deportati Ebrei. Friedhof und Synagoge können nur nach Anmeldung in der Tourismuszentrale von Saluzzo besichtigt werden: info@saluzzoturistica.it – Tel. 0175-46710, Fax 0175- 46718.
Sabine Bade & Wolfram Mikuteit
aktuelle Kommentare: