… heißt ein einleitendes Kapitel unseres Buches ‚Partisanenpfade im Piemont’, das wir als Beispiel für gelebten Widerstand während der 20 Jahre andauernden faschistischen Herrschaft Mussolinis geschrieben haben. Widerstand, der – wenn auch klandestin – aktiv betrieben wurde, lange bevor im September 1943 der bewaffnete Kampf, die Resistenza gegen deutsche Besatzung und italienischen Faschismus begann.
Am 15. November 1933 gründete Giulio Einaudi zusammen mit Leone Ginzburg und Cesare Pavese in Turin den Buchverlag Einaudi. 2012 wäre Giulio Einaudi 100 Jahre alt geworden, was die Stadt Turin zum Anlass nahm, unter den Arkaden der Via Po mit einer Plakataktion an ihn zu erinnern.
Wir tun es ihr nach.
Dass es elf Jahre nach der Machtübernahme der Faschisten in Italien (und ein halbes Jahr nach den Bücherverbrennungen in Hitler-Deutschland) überhaupt möglich war, zur alles dominierenden patriotischen Kultur des Faschismus auf Distanz zu gehen, setzte gratwanderndes Geschick im Umgehen von Vorschriften voraus, für die die Protagonisten auch Haftstrafen und Verbannung in Kauf nahmen.
Die Wurzeln des Verlages gehen auf das Turiner Liceo d’Azeglio zurück. Dort unterrichtete mit Augusto Monti ein Lehrer aus dem Kreis um den früh verstorbenen Piero Gobetti, der sich wenig an die vorgegebenen faschistischen Erziehungsideale hielt und seine Schüler zu kritischem Denken anregte. Cesare Pavese, Leone Ginzburg, Norberto Bobbio, Massimo Mila, Vittorio Foa und der etwas jüngere Giulio Einaudi hatten sich durch ihn kennengelernt und gründeten 1927 ihre legendäre Confraternità.
Eine Bruderschaft kluger junger Männer (Ginzburg beherrschte bereits als 15-Jähriger mehrere Sprachen fließend und schrieb für diverse Zeitungen), die zusammen viel Spaß hatten und dabei die Welt theoretisch auseinandernahmen und viel besser wieder zusammensetzten.
Viele von ihnen traten zu Beginn der 1930er-Jahre der 1929 im Pariser Exil gegründeten Widerstandsorganisation Giustizia e Libertà bei.
Und als Luigi Einaudi (damals als bedeutender Wirtschaftswissenschaftler Herausgeber mehrerer Zeitschriften, im Nachkriegs-Italien Ministerpräsident von 1948–1955) seinem damals gerade 21-jährigen Sohn 1933 die Herausgeberschaft der wirtschaftswissenschaftlichen Zeitung La Riforma Sociale übertrug, machten sich die Freunde daran, das Blatt nach ihren Vorstellungen umzukrempeln und auch in die Buchproduktion einzusteigen.
Was die Ausrichtung ihres Verlages anbelangte, orientierten sie sich an Laterza Editori, zu dieser Zeit das einzige italienische Verlagshaus mit antifaschistischem Profil. Für Laterza gab der Philosoph Benedetto Croce, den die Mitglieder der Confraternità seit ihrer Schulzeit verehrten, diverse theoretische Buchreihen heraus. Benedetto Croce war eine der großen Leitfiguren Leone Ginzburgs. Zwar konnte sich ihr Verlag offene Kritik am Faschismus, wie Croce – seit 1910 vom König ernannter Senator auf Lebenszeit – sie formulierte, nicht leisten, aber er sollte mit anderen Mitteln dasselbe bewirken: Provinzialismus entgegenwirken und neue Denkräume erschließen, neue und vor allem breitere Leserschichten erreichen. Bildung für jedermann schwebte ihnen vor. So schrieb Pavese über in Italien damals vollkommen unbekannte amerikanische Schriftsteller wie Sinclair Lewis, Sherwood Anderson, Edgar Lee Masters, John Dos Passos und Walt Whitman. Massimo Mila schrieb über Musik, Norberto Bobbio über Philosophie und der Maler Carlo Levi über Kunstgeschichte. Einaudi kümmerte sich um das Geschäftliche und leitete den Verlag mit großem Geschick.
Das Verlagsprogramm war international ausgerichtet, zu den amerikanischen Autoren kamen die russischen hinzu: Ginzburg übersetzte Puschkin, Dostojewski und Tolstoi. Was vor allem nach dem Einmarsch der Italiener in Russland an der Seite Hitler-Deutschlands zu Problemen führte. Als Anfang 1942 Tolstois Krieg und Frieden erschien, startete der Journalist Goffredo Coppola – ein Wegbegleiter Mussolinis bis zur gemeinsamen Flucht Richtung Schweizer Grenze Ende April 1945 – in der Zeitung Popolo d’Italia einen scharfen Angriff gegen Einaudi: Mit der Veröffentlichung habe der Verlag Parallelen ziehen wollen zwischen Napoleons Angriff auf Russland und der deutsch-italienischen Achse, was nur Anhängern von Benedetto Croce und Hörern von Radio London einfallen könne. Und ganz generell: Ein Verlag, der unter 33 Neuveröffentlichungen 23 Übersetzungen aus dem Französischen, Englischen und Russischen liefere, sei durch und durch unitalienisch.
„Basta!“ schloss der Artikel, „Basta mit diesen Nataschas, diesen Borissen, diesen Idioten.“
Jede Neuerscheinung musste vom zuständigen Ministerium genehmigt, die Zensur jedes Mal aufs Neue ausgetrickst werden. Immer mal wieder auch ein Buch ins Programm genommen werden, nur um „die Rhetorik des Nationalsozialismus zu dokumentieren“, wie Einaudi es formulierte.
Giulio Einaudi Editore blieb dem gesteckten Ziel der Confraternità bis zum Jahr 1983 treu.
Weitere Informationen über die Protagonisten des Einaudi-Verlages, wie sie sich neben der Verlagsarbeit in den Widerstand einbrachten und wo heute noch an sie erinnert wird, finden sich im Buch.
Sabine Bade & Wolfram Mikuteit
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