Das renommierte Mailänder Architekturbüro BBPR schuf 1980 im Auftrag der italienischen Deportiertenvereinigung ANED in Block 21 des ehemaligen KZ Auschwitz eine – durch Texte von Primo Levi, Musik von Luigi Nono und Gemälden von Pupino Samonà – ungemein beeindruckende Gedenkstätte. Dreißig Jahre später entsprach das Werk nicht mehr der Gedenkstättenkonzeption der polnischen Regierung und musste, um der Zerstörung zuvorzukommen, abgebaut und rückgeholt werden. In Florenz wurde die italienische Auschwitz-Gedenkstätte nun wieder aufgebaut.
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Enio Mancini: Das Massaker von Sant’Anna di Stazzema
In Hamburg kann es zum wahrscheinlich letzten Kriegsverbrecherprozess Deutschlands kommen. Das gerade erschienene Buch mit den Erinnerungen von Enio Mancini, der das Massaker von Sant’Anna di Stazzema überlebte, liefert dazu die eindrückliche Geschichte und gewährt darüberhinaus Einblick in die notorische Verfolgungsverweigerung der deutschen Justiz gegenüber NS-Verbrechen.
Vor 70 Jahren ermordeten am 12. August 1944 Mitglieder der 16. SS-Panzergrenadierdivision „Reichsführer SS“ im toskanischen Bergdorf Sant’Anna di Stazzema mindestens 560 wehrlose Zivilisten – vorwiegend Frauen, alte Menschen und über 100 Kinder.
Dass das Geschehen nicht in Vergessenheit geriet, ist vor allem Enio Mancini zu verdanken, der als kleiner Junge das Massaker überlebte. Dank seines beharrlichen Engagements, seiner Suche nach Erinnerungsstücken und Berichten von anderen Überlebenden, konnte 1991 im ehemaligen Schulgebäude von Sant’Anna das Museum des Historischen Widerstands eröffnet werden, dessen Leiter er bis 2006 war. Seine im Vorjahr in Italien erschienenen Erinnerungen liegen jetzt in deutscher Übersetzung vor. Er schildert darin das Leben in dem abgelegenen Bergdorf, die Ereignisse des 12. August 1944 und die Probleme der teilweise schwer traumatisierten Überlebenden beim Wiederaufbau der Gemeinde. Auch darüber, wie still es danach um die Ereignisse von Sant’Anna wurde: Eine juristische Verfolgung der Greueltaten unterblieb.
Der Mantel des Schweigens, der fünf Jahrzehnte lang in Italien über den vielen von deutscher Wehrmacht und SS verübten Verbrechen lag, wurde spät gelüftet: Die aus Rücksichtnahme gegenüber dem Nato-Partner 1960 bei der Militäranwaltschaft in Rom „vorläufig archivierten“ Ermittlungsakten einer noch während des Krieges eingesetzten amerikanischen Militärkommission wurden ab 1994 Grundlage diverser Ermittlungen. Im Fall des Massakers von Sant’Anna di Stazzema sprach das Militärgericht La Spezia 2005 zehn der angeklagten Mitglieder der 16. SS-Panzergrenadierdivision „Reichsführer SS“ wegen “fortgesetzten Mordes mit besonderer Grausamkeit” schuldig und verurteilte sie in Abwesenheit jeweils zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Für die Verurteilten folgenlos: Eine Auslieferung war nicht zu befürchten.
Der Geist der furchtbaren Juristen
Seitdem ist auch im Land der Täter viel über das Massaker von Sant’Anna di Stazzema berichtet worden. Vor allem über die schleppend betriebenen Ermittlungen. Seit 1996 lag der Vorgang bei der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg. Von 2002 bis 2012 ermittelte die Staatsanwaltschaft Stuttgart und stellte schliesslich die Ermittlungen ein. Das Massaker an mindestens 560 Frauen, Kindern und alten Menschen könne auch als Kollateralschaden im Rahmen der Partisanenbekämpfung zu werten sein. Für die Beschwerde gegen die Einstellungsverfügung fertigte Dr. Carlo Gentile, historischer Sachverständiger bei vielen NS-Strafverfahren und Mitglied der deutsch-italienischen Historikerkommission, ein Gutachten an, das diesen Ansatz widerlegt. Dennoch bestätigte die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart im Jahr 2013 die Einstellung des Verfahrens.
Die Strafrechtlerin Gabriele Heinecke, die seit 2005 mit Enrico Pieri den Sprecher der Opfervereinigung von Sant’Anna vertritt, beschreibt in einem eigenem Kapitel minutiös, wie die juristische Aufarbeitung in Deutschland bewusst hintertrieben und verschleppt wurde, wie unstrittige Sachverhalte zugunsten der Beschuldigten uminterpretiert wurden. Vorgänge, die belegen, wie der Geist der die Nachkriegszeit dominierenden furchtbaren Juristen das deutsche Rechtssystem heute noch beherrscht.
Kurz nach Drucklegung des Buches hatte das letztmögliche Rechtsmittel, das Klageerzwingungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe gegen den Kompanieführer, den ehemaligen SS-Untersturmführer Gerhard Sommer, Erfolg: Der 3. Strafsenat sah „ausreichenden Tatverdacht“ und „keine vernünftigen Zweifel“ daran, dass die Handlungen von vornherein auf die Vernichtung der Zivilbevölkerung von Sant’Anna gerichtet waren. Das Gericht verwies das Verfahren an die Staatsanwaltschaft Hamburg, wo Sommer lebt. Dort kann es nun zum wahrscheinlich letzten Kriegsverbrecherprozess Deutschlands kommen. Das Buch mit den Erinnerungen von Enio Mancini, den Ausführungen von Gabriele Heinecke und der historischen Rekonstruktion des Massakers von Carlo Gentile liefert dazu die Informationen.
Sabine Bade
Sant’Anna di Stazzema – Anklage im Fall des Massakers möglich
Schallende Ohrfeige für Stuttgarter Juristen
„Hinreichender Tatverdacht“: Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat im Klageerzwingungsverfahren der Opfervertreter des Massakers von Sant’Anna di Stazzema den Einstellungsbeschluss der Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen den ehemaligen SS-Untersturmführer Gerhard Sommer aufgehoben. Damit könnte eines der größten und grausamsten Verbrechen, das deutsche Truppen im Zweiten Weltkrieg verübt haben, doch noch vor Gericht aufgearbeitet werden. Außerhalb Baden-Württembergs.
Gedenkkonzert in Falzano di Cortona
Die Orgel-Konzertreihe in Sant’Anna di Stazzema ist dank der Freunde der Friedensorgel längst zu einer Institution geworden. Nun ist es gelungen, diese Konzertreihe auch auf Falzano di Cortona in der toskanischen Provinz Arezzo auszudehnen.
Sant’Anna di Stazzema – Konzertreihe zum 70. Jahrestag des Massakers
Die von Maschinengewehrsalven zerstörte kleine Orgel der Kirche von Sant’Anna di Stazzema – sie erklang letztmals am Tauftag des jüngsten Opfers Anna Pardini – konnte am 29. Juli 2007 wieder feierlich in Betrieb genommen werden: Die auf Initiative des Essener Musiker-Ehepaares Maren und Horst Westermann gegründete ‚Deutsch-Italienische Gesellschaft Freunde der Friedensorgel Sant’Anna di Stazzema/ Associazione italo-tedesca Amici dell’organo della pace di Sant’Anna di Stazzema‘ hatte dafür mit Hilfe von Benefizkonzerten Spenden gesammelt und führt seitdem jeden Sommer eine Konzertreihe durch.
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